Situation.
Wir sind in einer kleinen Abteilung bei einem Zulieferer in der Food-Service-Branche - mit einer Abteilungsleiterin, zwei Mitarbeitern und zwei Mitarbeiterinnen (eine von ihnen ist recht jung dabei, die anderen sind schon einige Jahre an Bord).
Die Chefin hat eine Weiterbildung in lösungsfokussiertem Coaching gemacht und möchte die anstehenden Herausforderungen mit ihrem Team anders, sprich: konsequent lösungsorientiert angehen und eine agile Zusammenarbeit in Richtung New Work gestalten. Sie ist überzeugt, dass passt zu dem, was anliegt:
- Die Geschäftsführung ist mit den Ergebnissen der aktuellen Kundenbefragung unzufrieden und fordert nachdrücklich bessere Werte in Kundenkommunikation und Kundenservice - das bitte zügig.
- Die Stimmung im Team lässt zu wünschen übrig - ein Kollege sperrt sich offen gegen neue Aufgaben und Vorgehensweisen. Er fühlt sich sofort persönlich von kritischen Rückmeldungen angegriffen. Eine andere im Team ist passiv und wartet ihr Rentendasein ab. Mit der Neuen und dem anderen Stammkollegen kann man etwas bewegen, doch das reicht nicht, zumal die ewigen Diskussionen mit den beiden Anderen nerven.
Die Geschäftsführung hat dem Entwicklungsprojekt zugestimmt, das die Abteilungsleitung ihr vorgelegt hat - samt Startunterstützung durch den externen Coach, den diese aus ihrer Weiterbildung kennt. Ihr Argument dafür: "Zum Einstieg brauche ich eine neutrale Unterstützung, deren Kompetenz hier anerkannt wird. Meine zählt zu wenig - da bin ich als Prophet im eigenen Land nicht wirkungsvoll..."
Damit geht es los: an einem Freitag Nachmittag und - trotz einigem Murren auch am folgenden Samstag - in den Tagungsräumen der Firma und mit einem schönen Abendessen zum Ausklang am ersten Tag.
Start-Workshop: Unser Kundenservice.
Einstieg
Der Coach hat Geschäftsführung und Abteilungsleitung im Vorfeld gebrieft, auf welche Weise eine Lösungsfokussierung mit Blick auf geändertes Verhalten funktioniert: Indem sie explizit auf Stärken und Kompetenzen der beteiligten Menschen setzt.
bei dem man ein defektes Teil erkennen und einfach auswechseln kann.
Hier geht es um Können und Wollen.
Da ist jeder im Team Experte für sich und seine Arbeit.
Aufgabe von Coach und Führung ist es, unterstützend Lösungsideen aufzuspüren sowie
Kenntnisse und Können für ihre Umsetzung zu aktivieren.
Das Graben in Problemen und Rat-"Schläge" für Ergebnisse bringen nicht weiter,
sondern schaffen nur Widerstand und betonierte Verteidigungslinien.
Verlorene Energie!
Und so begrüßt die Geschäftsführung die Runde wertschätzend, bedankt sich für die Bereitschaft zur Teilnahme auch an einem Wochenendtag und stellt die Erfolge von Unternehmen und speziell der anwesenden Mitarbeiter heraus - mit persönlicher Ansprache und konkreten Beispielen. Das verknüpft sie mit der Überzeugung, dass das Team weitere Ideen aktivieren und neue Kundenanforderungen aus eigener Kraft bewältigen kann. Dieses explizit ausgesprochene Vertrauen überrascht den Einen oder Anderen und löst durchaus Lästereien aus.
Der Coach übernimmt, stellt sich und das vielleicht überraschende, etwas andere Vorgehen vor. Er bittet die Teilnehmer darum, sich einfach mal darauf einzulassen, und startet die erste Runde:
- "Gerne möchte ich jetzt etwas mehr über Sie erfahren: Was machen Sie besonders gut und gerne?"
Die Antworten sammelt er und fragt immer wieder nach: "Was noch?", "Was noch?"...
Ergebnisse finden sich auf Post-it's mitgeschrieben an der Wand - immer mehr und in wenigen Minuten echt eine Menge! - "Fazit: Das alles sind Ihre Stärken über die Sie verfügen und die Sie ver-'werten' können (Ihr Wissen, Ihr Können und Ihre Motivation). Damit können Sie selbst Wert schöpfen!"
Um was geht's denn hier? Karten auf den Tisch!
Jetzt platzt unserem Kritischen doch der Kragen: "Was soll das Gesülze? Die Chefs machen die Kohle für diese Tagung doch nur locker, weil denen unsere Arbeit nicht passt! Warum benennen Sie das nicht klar und deutlich? 'Butter bei die Fische!'" Eine Kollegin brummt zustimmend. Die Abteilungsleiterin, die sich in ihrer Workshoprolle ausdrücklich ins Team eingegliedert hat, schweigt zurückhaltend.
Der Coach geht zum Flipchart, teilt das oberste Blatt mit einem senkrechten Strich und fragt:
- "Also: Um was geht es hier?"
"Kritik von Kunden an Ihrem Service?" - "Das gefällt Ihnen sicher nicht, das verstehe ich."
"In welches Ziel können Sie das umformulieren?"
"OK - Besserer Kundenservice?" - "Was wünschen sich Kunden denn besser?"
"Es soll schneller gehen - und das bei enger Zeit? Dabei bemühen Sie sich um eine schnelle Erledigung."
"Wie formulieren Sie das jetzt als Ziel?"
"Schnellere Antworten!"...
So geht es weiter, ohne die Hindernisse in irgendeiner Weise zu diskutieren oder sie gar breit zu treten (wobei der Coach diesen Schritt auch nur geht, wenn Hindernisse im Team sehr präsent sind und das vor einer weiteren Bearbeitung nach Anerkennung ruft. Prinzip: Störungen haben Vorrang!).
Die Energie geht also sofort in die zukunftsorientierte Seite der Medaille, sprich: in abgeleitete Teillösungen - bis folgendes Blatt da steht:
Lösungsgespräch: Was wollen wir erreichen?
Diese erste Zielsammlung skizziert die Richtung. Jetzt stößt der Coach eine vertiefende Denkrunde an:
- "Stellen Sie sich vor, Sie sind zu Hause, haben Ihren Feierabend genossen und gehen wie jeden Abend zu Bett.
Während Sie schlafen, passiert ein Wunder:
Die Situation, die Sie bewegt und weswegen Sie heute hier sind, die ist gelöst!
Woran werden Sie merken, dass dieses Wunder passiert ist?
Was ist Ihre kühnste Hoffnung?... - Wie sieht das aus?
- Was sehen Sie noch? Welches Verhalten genau? Was noch? Was noch?...
- Wie haben Sie sich verhalten?
- Was ist noch geschehen?"
Wieder wird alles am Flip mitgeschrieben. - Das war jetzt deutlich mehr als eben!
Viele Fragen, viele Antworten, bis den Teilnehmern wirklich nichts mehr einfällt - trotz aller Fragegeduld vom Coach.
Die Runde ist jetzt voll im Gange. Sie diskutiert das Ergebnis und seine Auswirkungen:
- "Welchen Unterschied macht das im Vergleich zu heute?
Wer bemerkt das? Wer noch?
Was macht das besser?
Was nutzt es uns? Der Geschäftsführung? Dem Kunden? Uns im Team? (Prinzip: Gewinn gibt Kraft!)
Was ist daran vielleicht weniger erwünscht? - Wie können wir das vermeiden? Wodurch noch?" (Prinzip: Hindernissen vorbeugen!)
Daraus moderiert der Coach ein gemeinsames Ziel mit der Kraft einer leuchtenden Vision:
eine neue Service-Generation entwickeln:
Direkt im Dialog!"
Das ist attraktiv für alle! Und das wäre neu! Dafür lohnen sich Anstrengungen. - So das einheitliche Feedback.
Der Abteilungsleiterin fällt am Vorgehen des Coaches noch einiges auf, das sie sich für Ihre eigene zukünftige Moderation festhält, denn sie wird den Prozess intern weiterführen:
- "Unser Coach lässt die Hindernisse nicht für sich stehen, sondern sofort in Ziele transformieren. (Prinzip: Bessere Zukunft!)
- Er hat das Wort "Problem" nicht einmal in den Mund genommen und konsequent nach vorne in Lösungsideen moderiert. (Prinzip: Lösungssprache!)
- Damit fällt die ausführliche Ist-Beschreibung aus dem Design Thinking auch weg. (Prinzip: Der Lösung ist es egal, wie das Hindernis entstanden ist!)
- Die genannten Hindernisse hat er mit persönlicher Rückmeldung angenommen. (Prinzip: Wertschätzung!)
- Er hat solange nachgefragt und geduldig das zielführende Verhalten in Details beschreiben lassen, bis wirklich keine Ideen mehr kamen. (Min. 6x "Was-noch?"-Regel)
- Er hat das Ziel detailliert und emotional anschaulich machen lassen. (Prinzip: Zielbild differenzieren!)
- Nicht er, sondern die Teilnehmer haben das getan. (Prinzipien: Eigenverantwortung, persönliche Ressourcen, keine Ratschläge!)
- Dabei achtet unser Coach genau auf eine faire Zusammenarbeit ohne gegenseitige Angriffe! (Prinzip: Augenhöhe!)
- Und: Die gelebte Selbstwirksamkeit passt zu New Work, wie wir sie anstreben!"
Unser Gewinn: Was bringt uns das?
Der Coach arbeitet jetzt mit dem Team heraus, welche Kraft in diesem Ziel schon steckt. Wieder mit gezielten Fragen...
- "Welche Anzeichen gab es schon in den letzten Wochen, die in diese Richtung gingen?
Welche Fortschritte gab es noch?
Was hat bereits funktioniert? (Prinzip: Mehr davon!)
Wann hat es besser geklappt? (Prinzip: Mehr davon!)
Was hat nicht geklappt? (Prinzip: Weg damit!)
Wer aus dem Team kann etwas, was dabei hilft? (Prinzip: Ressourcen erkennen!) - Welche Erfolgsrezepte können Sie aus der Vergangenheit beisteuern?
Nehmen wir an, Sie machen weitere Fortschritte, wie sehen die aus?"
- "Was haben Sie persönlich/ im Team davon? (Prinzip: Gewinn gibt Kraft!)
Welchen Gewinn hat der Kunde?
Was freut das Controlling? - Wenn Sie ein Bild malen würden, welche Farben würden Sie wählen? (Prinzip: Visualisierung/ Emotionalisierung/ Prototyp siehe Design Thinking)
- Das ist schon eine Menge, worauf Sie sich stützen können!"
Kompetenzen wiederholen! Komplimente für konkrete, nachvollziehbare Bemühungen + Verhaltensweisen machen! Visualisieren!
Nach vorne sehen: Wie weit sind wir schon?
Wir fangen bei neuen Lösungen nie bei Null an, wie die Antworten auf die Fragen oben zeigen. Jedes Team verfügt über eigene Ressourcen wie Gedanken, Erfahrungen, Verhaltensweisen, Emotionen, Werte, Unterstützung aus dem sozialen Umfeld..., sonst wäre es kein 'Team' mit gemeinsamen Zielen und Erfahrungen in der Zusammenarbeit. Je mehr wir uns über diese Kräfte klar werden, desto stärker ziehen sie uns zum Ziel. Das veranschaulicht auch die Skalenfrage:
- "Stellen Sie sich eine Skala von 1 bis 10 vor - hier auf dem Boden mit Klebestreifen und Karten markiert.
Die 1 steht für Ihre Situation, bevor Sie sich mit dem Vorhaben beschäftigt haben,
die 10 steht dafür, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben, dass also das Wunder vollbracht und die kühnste Hoffnung erfüllt sind.
Wo stehen Sie jetzt?
Bitte stellen Sie sich jeweils auf die Stelle, an der Sie sich wohlfühlen." - Gesagt, getan: Ergebnis? - Das Team steht dicht gedrängt um die 4 herum - niemand weiter an den Außenpositionen.
- Fazit: "Wir sind handlungsfähig! Auch unbewusst! Und das ziemlich einheitlich!
Wie haben wir es geschafft, bis hierhin zu kommen?
Was bedeutet das?
Welche Fähigkeiten haben wir dazu genutzt? Was noch?..."
Und wenn wir einen Schritt weiter sind?
Das Erreichte bedeutet nicht "Ende im Gelände", jetzt geht es beständig in kleinen Schritten weiter nach vorne!
- "Sie wollen sich jetzt auf 4 + 1 bewegen? Super!
Wie schaffen Sie es, dahin zu kommen?
Wie verhalten Sie sich dort?
Welchen Unterschied macht das? Für Sie? Für Kunden? Für Kollegen? Für Ihre Chefs? (Prinzip: Erfolg zieht zu Erfolg!)
Woran merken Sie, dass Sie ankommen? Woran noch?...- Wenn Sie weitere Fortschritte machen wollen, wie sehen die aus?
Welche Unterstützung können Sie von wem im Team bekommen?
Welches Können, welche Kompetenzen können Sie zusätzlich nutzen?"Echt lösungsfokussiert: Maßnahmen verbindlich vereinbaren
Um dahin zu kommen, braucht es wieder systematisches Vorgehen. Das altbekannte Gesprächsgeländer, das uns und unsere Teilnehmer seit Jahren begleitet, hilft auch hier weiter (eigentlich ist es eher ein Kreislauf, denn auf jeden Abschluss folgt sinnvollerweise ein neuer Einstieg!)
Die Abteilungsleiterin fühlt sich zudem an eine Erkenntnis aus Ihrem Training erinnert:
"Kleine Veränderungsschritte verändern schon das Ganze,
weil sich auch an anderen Stellen im System etwas bewegt.
Das zieht weitere Veränderungen nach sich."Sie ist zuversichtlich, dass sie die Veränderung auf dieser Basis eigenständig und lösungsfokussiert weiterführen und dabei viele kleine Baby-Steps zum Ziel gehen kann.
"Denn eine Tranformation, wie wir sie hier vorhaben,
klappt nicht in einem Ruck.
Wir behalten bei, was gut funktioniert,
und ändern/ ergänzen Neues schrittweise."
Oder, wie Chinesen sagen:
Wenn Du einen Fluss überquerst,
dann siehst Du den nächsten Stein nach dem ersten.Erster Abschluss
Doch zunächst gilt es, den Start-Workshop abzuschließen. Der Coach vergewissert sich methodisch abwechslungsreich, dass die Teilnehmer für den Moment ...
- seine Wertschätzung für ihre zukunftsorientierte Arbeit an Lösungen erfahren - über konkretes Feedback, vielleicht auch durch Komplimente untereinander,
- sich noch einmal bewusst vergegenwärtigen, wie sie in den eineinhalb Tagen ein bewegendes Ziel und erste Schritte auf dem Weg dorthin erarbeitet haben, ohne sich in Vergangenheitsbewältigung zu verlieren,
- sich ihrer breit gefächerten Ressourcen bewusst sind - auch in Bezug auf unterschiedliche Team-Mitglieder,
- immer Ideen entwickeln, wie es weiter geht,
- Vertrauen in den Erfolg stärken,
- Verantwortung für die eigene und gemeinsame Zielverfolgung übernehmen,
- und dass sie eine erste Idee davon haben, wie sie im Team und mit ihrer Chefin damit weiter arbeiten.
Das feiern sie mit einem Abschluss-Cocktail!
Nächstes Vorhaben
Mit diesem Start-Workshop ist das Team das sachliche Thema "Besserer Kundenservice..." systematisch angegangen, mit Werkzeugen aus der Lösungsfokussierung, dem Design Thinking und agilen Instrumenten aus der neuen Arbeit.
Doch das Thema "Teamentwicklung" fehlt noch. Auch wenn man sich einig ist, dass diese Runde schon einiges Gute in "Sachen Beziehungspflege" gebracht hat, wollen alle noch intensiver daran gehen - möglichst ebenfalls lösungsfokussiert.
Damit geht es demächst in MUTgestalten weiter!
Quellen neben MUTigen Eigenentwicklungen aus Praxisprojekten:
Middendorf, Jörg: Lösungsorientiertes Coaching. Kurzzeit-Coaching für die Praxis. Wiesbaden 2019
Kotrba, Veronika; Miarka, Ralph: Agile Teams lösungsfokussiert coachen. Heidelberg 2019
Nowotny, Valentin: Agile Unternehmen. Nur was sich bewegt, kann sich verbessern. Göttingen 2016